Psychologische Paradigmen des 20. Jahrhunderts

Was ist ein Paradigma?

Seit den Anfängen der Psychologie gab es immer wieder unterschiedliche und manchmal einander widersprechende Sichtweisen. Diese verschiedenen Standpunkte werden als psychologische Paradigmen bezeichnet. Sie können als eine globale Denkweise verstanden werden, in der Theorien und Beobachtungen verankert sind.

Ein psychologisches Paradigma beschreibt ein vorherrschendes Denkmuster, Grundannahmen sowie akzeptierte Experimentalmethoden und dient als Basis der wissenschaftlichen Orientierung (Dorsch Lexikon der Psychologie, 2022).

Psychoanalyse

Die Psychoanalyse ist eines der bekanntesten Paradigmen der Psychologie. Das von Freud (1856-1939) populär gemachte psychoanalytische Paradigma legt Wert auf die emotionalen Reaktionen auf Kindheitserfahrungen und unbewusste Denkprozesse. Er konzentriert sich auf das Bewusstsein und argumentiert, dass psychische Probleme normalerweise von einer Unterdrückung des Unbewussten herrühren. Freuds Ideen sind spezifisch auf seine Arbeit mit psychisch kranken Patient*innen ausgerichtet, aber seine Konzeptualisierung des Unbewussten hat alle Bereiche der Psychologie für den Rest des Jahrhunderts geprägt.

Freuds Ideen enthalten dabei bestimmte kontroverse Theorien (z. B. den Ödipuskomplex, der die Rivalität gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil aufgrund der Liebe zum andersgeschlechtlichen Elternteil beschreibt) und obwohl sie eine nützliche Perspektive darstellen, erscheint die Anwendbarkeit seiner Ideen begrenzt. Seine Argumente sind vage (bzw. er war nicht in der Lage, kausale Zusammenhänge für seine Theorien zu postulieren) und er hat keine wissenschaftlichen Beweise, um seine Behauptungen über die Auswirkungen des Unbewussten auf unsere Gefühle und Verhaltensweisen zu untermauern.

Behaviorismus

Zur gleichen Zeit wie der Popularisierung des psychoanalytischen Paradigmas entstand der Behaviorismus. Die Psychoanalyse wurde als zu subjektiv und nicht wissenschaftlich genug angesehen. Der Behaviorismus hingegen nutzte Beobachtungen von Verhaltensreaktionen auf äußere Reize, um Annahmen über mentale Prozesse zu tätigen.

Da es schwierig ist, alle Variablen zu kontrollieren, die das menschliche Verhalten beeinflussen, verwendet die Verhaltensforschung im Allgemeinen Tiere. Das behavioristische Paradigma wird durch Pavlovs berühmtes Hundeexperiment illustriert.

Pavlov läutete eine Glocke, wenn er einer Gruppe von Hunden Futter gab, während er beobachtete, wie viel sie speichelten (1897). Am Anfang zeigten die Hunde keine Reaktion auf die Glocke, aber nachdem die Forscher*innen dieses Prinzip mehrmals wiederholt hatten, speichelten die Hunde jedes Mal bereits, wenn sie die Glocke hörten.

Durch die Konditionierung der Hunde, ein Verhalten als Reaktion auf einen Reiz zu zeigen, leistete Pavlov einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Behavioristischen Lerntheorien. Es wurde jedoch auch argumentiert, dass die Behavioristische Perspektive deterministisch ist und dass die reduktionistische Darstellung mentaler Prozesse, die sie liefert, bestenfalls eine teilweise Sicht auf die Funktionsweise des menschlichen Geistes ist.

Kognitivismus

Mit der Erfindung des Computers in den 1940er Jahren folgte das Begreifen des Menschen als algorithmische Informationsverarbeitungsmaschine. Diese neue Konzeptualisierung des Geistes (als etwas, das geplantes und zielfokussiertes Verhalten wahrnimmt und sich darauf einlässt) stand im Gegensatz zur behavioristischen Perspektive, die argumentierte, dass mentale Prozesse auf Ursache-Wirkungs-Reaktionen auf äußere Reize reduziert sind. Der kognitivistischen Perspektive liegt die Annahme zugrunde, dass kognitive Phänomene durch wenige allgemeingültige Informationsverarbeitungsprinzipien erklärt werden können.

Die Entstehung dieses Paradigmas führte zu zahlreichen Fortschritten in der Psychologie. Diese Fortschritte konzentrierten sich auf die sensorische Verarbeitung und umfassten die Arbeit von Baddeley & Hitch (1974) zum Gedächtnis (wie bzw. ein Modell, wie das Kurz- und Langzeitgedächtnis interagieren) sowie die Arbeit von Broadbent (1957) zur Aufmerksamkeit (bzw. wie das Gehirn sensorische Informationen verarbeitet und wie gut Menschen auf verschiedene gleichzeitige Reize achten können).

Ein Hauptkritikpunkt am kognitiven Paradigma ist jedoch, dass es die starken und wechselhaften Emotionen, die Menschen so oft empfinden, nicht berücksichtigt. Während Experimente diese Theorien teilweise überprüfen können, verfügen wir darüber hinaus nicht über ausreichend leistungsfähige Werkzeuge, um die Gehirnaktivität so zu messen, dass die Annahmen zu neuronalen Prozessen hinter diesen Theorien verifiziert oder falsifiziert werden können.


Weitere Lektüre:

Baddeley, A. (2010). Working memory. Current biology, 20(4), R136-R140.

Broadbent, D. E. (1957). A mechanical model for human attention and immediate memory. Psychological review, 64(3), 205. [PDF herunterladen]

Lengenfelder, P., Leiner, J., Etzler, A., Felber, K., Meindl, M., Schätzle, V., Schinnerl, K. Schmidt, M., Schrenk, S., Strasser-Kirchweger, B., Ulmke, N. (2022). Lerunterlage Teil 2: Psychologie Skript. Salzburg: Universität Salzburg. [PDF herunterladen]

Dorsch Lexicon der Psychologie.

 

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