Wie wichtig ist Serotonin für die Stimmung?

Eine vorherrschende Ansicht besagt, dass der Transmitterstoff Serotonin für Glück, Stimmung und mehrere psychische Störungen verantwortlich ist, obwohl dies umstritten ist. Diese Theorie stellt eine empirische Perspektive der Psychologie dar und wird bislang nur mit schwachen Beweisen gerechtfertigt.

Was ist Serotonin?

Serotonin (5-Hydroxytryptophan) ist eine Neurochemikalie, die die Änderung der Impulsübertragung durch die Ausschüttung von Transmitterstoffen erleichtert. Serotonin wird über die Lücke zwischen den Nerven im Gehirn (der synaptische Spalt) übertragen und hat dann eine inhibitorische Wirkung auf die Postsynapsen.

Was ist der Beweis dafür?

Die meisten Beweise dafür beruhen auf der Hypothese, dass Serotonin mit Stimmung verbunden ist, welche auf der Forschung zu Antidepressiva bzw. Serotonin-Wiederaufnahmehemmern basiert. Bereits seit den 1960er Jahren haben Studien gezeigt, dass ein Medikament, das zu einer erhöhten Konzentration von Serotonin in den synaptischen Spalt führt, die Symptome einer Depression lindern kann. Diese Medikamente, die als Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (eng. SSRI) bezeichnet werden, hemmen die Prozesse, die Serotonin auf natürliche Weise aus dem synaptischen Spalt entfernen. Studien haben wiederholt eine starke und statistisch signifikante Wirkung nachweisen können [1]. Basierend auf diesen empirischen Beweisen hat die Verschreibung von SSRIs enorm zugenommen und der globale SSRI-Markt war im vergangenen Jahr 62 Milliarden $ wert.

Kontroversen

Es gibt jedoch sowohl methodische als auch konzeptionelle Probleme bei der Erforschung von Serotonin. Die Forschungsergebnisse, die einen Zusammenhang zwischen Serotonin und Stimmung zeigen, weisen jedoch keine kausale Korrelation nach. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil eine Korrelation zwar bedeutet, dass zwei Variablen (bspw. Serotonin und Stimmung) assoziiert sind, quantitative (statistische) Untersuchungen können jedoch nicht beweisen, dass diese beiden Variablen einander bedingen. Aufgrund der Komplexität des Gehirns können wir nicht mit Sicherheit wissen, ob Serotonin für Stimmung verantwortlich ist und wenn ja, wie dieser Mechanismus funktioniert. Es gibt bislang jedoch auch eine wenige Gegenbeweise, die der ‚Serotonin Hypothesis‘ widersprechen. Es hat sich gezeigt, dass sich nach Beginn der Antidepressiva-Einnahme die Serotoninkonzentration im Gehirn sofort ändert, doch insgesamt dauert es 4 bis 6 Wochen, bis die Wirkung von Antidepressiva eintritt.

Was nun?

Angesichts der Ungewissheit bezüglich der Serotonin-Hypothese müssen wir, um affektive (bzw. emotionale) Zustände besser zu verstehen, die Rolle anderer neuraler Prozesse betrachten. Forschungen, die bereits vor 30 Jahren durchgeführt wurden, zeigten die Bedeutung mehrerer anderer Neurotransmitter im Gehirn abgesehen von Serotonin. Zum Beispiel ist Kokain ein Stoff, der Energie, gehobene Stimmung und Selbstvertrauen hervorrufen kann. Er interagiert mit den Synapsen ähnlich wie Serotonin, aber hemmt dabei die Wiederaufnahme von Dopamin und verstärkt somit seine eigene Wirkung. Neurotransmitter wie Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und G-Aminobuttersäure (GABA) sind bei Stimmung Fehlfunktionen. Während es nicht zu leugnen ist, dass Serotonin eine wichtige Rolle bei der Stimmung spielt, sind es hingegen die dynamische Natur der neuronalen Netzwerke, mehrere Neurotransmitter und anderer Teilsysteme des ZNS, die Emotionen, Denken und Stimmung ermöglichen.

 

[1] Eng: ´Statistically significant´–die Irrtumswahrscheinlichkeit in der Forschung ist 5% (oder weniger)

Weitere Lektüre:

Moncrieff, J., Cooper, R. E., Stockmann, T., Amendola, S., Hengartner, M. P., & Horowitz, M. A. (2023). The serotonin theory of depression: a systematic umbrella review of the evidence. Molecular psychiatry, 28(8), 3243-3256.

Pourhamzeh, M., Moravej, F. G., Arabi, M., Shahriari, E., Mehrabi, S., Ward, R., ... & Joghataei, M. T. (2022). The roles of serotonin in neuropsychiatric disorders. Cellular and molecular neurobiology, 42(6), 1671-1692.

Maderthaner, R. (2021). Lernen und Anpassung. In R. Maderthaner (Ed.), Psychologie (3 ed., Vol. 2772, pp. 167-206). Wien: UTB.

Mainzer, K. (1997). Komplexität des Gehirns. In Gehirn, Computer, Komplexität (pp. 15-30): Springer.

 

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